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Celibidaches Wagner


Obwohl Sergiu Celibidache unbestreitbar zu den bedeutendsten Dirigenten aller Zeiten zählt, sind seine unvergleichlichen „Interpretationen” Wagnerscher Werke selbst Wagnerianern häufig vollkommen unbekannt. Dies mag zum einen daran liegen, dass Celibidache das „Werbemedium” Musikaufnahme stets ablehnte und die wenigen Wagner-Konzertmitschnitte dem Publikum erst posthum mit der von der Familie autorisierten, hochwertigen EMI-Edition zugänglich gemacht wurden. Zum anderen hat Celibidache nie eine Oper oder ein Musikdrama dirigiert, da er diesen Kunstformen und insbesondere Wagners Idee der Einheit von Musik und Wort äußerst kritisch gegenüberstand. Seiner Meinung nach sei hier die Musik zu stark dem Text untergeordnet und somit eine „sinfonische Kontinuität“ (selbst im Falle Wagners) nur selten zu erreichen. Dennoch sah Celibidache in Richard Wagner einen großen Sinfoniker, den er außerordentlich schätzte, nämlich genau in den Passagen eines Musikdramas, in denen sich die Musik vollständig vom Text emanzipiert und zur „absoluten“ Musik wird. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass Celibidache nahezu ausschließlich Vor- bzw. Zwischenspiele und Ouvertüren von Wagneropern dirigierte, die bereits von ihrer Anlage her eine geschlossene formale Einheit bilden und keinem Gesangstext „dienen” müssen. In der EMI-Celibidache-Edition mit den Münchner Philharmonikern gibt es (bisher) leider nur zwei CDs mit Werken von Wagner: Zum einen das auch als Einzel-CD erhältliche Wagner-Album mit dem Meistersinger-Vorspiel (1. Akt), dem Siegfried-Idyll, Siegfrieds Trauermarsch und der Tannhäuser-Ouvertüre. Zum anderen die ausschließlich als Bonus mit der Volume 4 zu beziehende CD mit dem Karfreitagszauber sowie dem Vorspiel (1. Akt) und dem Liebestod aus Tristan und Isolde. An dieser Stelle sollen nun keine detaillierten Analysen der soeben erwähnten Aufnahmen erfolgen, sondern vielmehr einige Streiflichter auf diese „sinfonischsten” aller Wagnereinspielungen geworfen werden.

So bestechen sämtliche Werke mit der für Celibidache typischen und nach Ansicht des Autors in diesem Ausmaß bei keinem anderen Dirigenten (außer Furtwängler) anzutreffenden Transparenz, die den Hörer nicht nur zwei Drittel, sondern wirklich die gesamte Partitur „erleben” lassen. Dies kommt insbesondere der komplexen Kontrapunktik im Meistersinger-Vorspiel zugute, das hier auch in dem von Wagner geforderten einheitlichen Tempo dirigiert wird. Letzteres bildet einen wunderbaren Kontrast zu den landläufigen Dirigaten, die sich nicht selten effekthascherischen, bereits suitenhafte Züge annehmenden Tempowechseln bedienen. Der legendäre Reichtum der Obertöne („Epiphänomena”) in Celibidaches Orchesterklang sowie die Hervorhebung der Korrelationen zwischen den einzelnen Stimmen durchdringen wie die bereits genannte charakteristische Transparenz sämtliche Stücke. Trotz des natürlich hervorragenden Dirigats trifft die Siegfried-Idyll-Einspielung nach Ansicht des Autors nicht vollständig ins Schwarze, obwohl in Fachkreisen häufig gerade das Siegfried-Idyll als das Beispiel angeführt wird, bei dem der „celistische” Ansatz am ehesten gerechtfertigt ist. Celibidaches Version des Trauermarsches und des Tristanvorspiels kann durchaus Furtwänglers Referenzdirigaten mit dem Orchester der Mailänder Scala 1950 bzw. dem Philharmonia Orchestra 1953 an die Seite gestellt werden, wobei es hier dem Leser überlassen sein soll, sich den Details bewusst zu werden, durch die sich diese Aufnahmen auszeichnen.

Unübertroffen in der gesamten Wagnerdiskographie sind nach Ansicht des Autors Celibidaches Tannhäuser-Ouvertüre, sein Karfreitagszauber und seine Instrumentalversion des Liebestods. Wo sonst hört man am Schluss der Tannhäuser-Ouvertüre einen „echten” Choral in den Bläsern (Spieldauer: ~16:23 min.), der mit den meist nebensächlich behandelten Streicherfiguren im Hintergrund eingeleitet und kombiniert wird, die sich ausgehend von einem kleinen Springbrunnen über einen Wasserfall zu einem Sternschnuppenregen hochschaukeln, der schließlich in einen mit unglaublicher Potenz ausgestatteten und einer weit ausladenden Eiche vergleichbaren Schlussakkord einmündet? Darüber hinaus erreicht Celibidache trotz oder vielmehr wegen des langsamen Tempos eine bis an den Rand des Berstens geführte Spannung, die ihresgleichen sucht (z.B. Spieldauern ~7:00 min. oder ~12:00 min.) und die Maria-Venus-Polarität im Tannhäuser auf eindrucksvolle Weise versinnbildlicht. Beim Karfreitagszauber lässt sich nicht nur Celibidaches Credo vom „Ende im Anfang” (Gewahrsein des Endes und des Anfangs an jeder Stelle der Partitur) erleben, sondern gewissermaßen auch das „Obere im Unteren der Partitur”, d.h. das Parallelhören von Stimmen trotz des Fokus’ auf einer Stimme zu jedem Zeitpunkt. Bereits die ersten Takte des Karfreitagszaubers, in denen die meist vernachlässigte, hier glasklar herausgearbeitete nach unten gerichtete Streicherfigur gegen die Bläserterz nach oben geführt wird, beweisen dieses im weiteren Verlauf natürlich viel komplexere Formen annehmende Phänomen, bei dem gemäß Gurnemanz’ Worten in der Tat Zeit und Raum eins zu werden scheinen. Die Erfahrung von Celibidaches Liebestod ist mit Worten kaum beschreibbar. Zum Abschluss dieser CD-Empfehlung sei dennoch auf eine auch an der Oberfläche erkennbare Besonderheit dieser Einspielung hingewiesen: An der Stelle des „Weltatems” hält Celibidache das Fortissimo nicht über das ganze Wort hinweg aus, sondern nimmt bei „atems“ die Lautstärke (auch instrumentationsbedingt) leicht zurück, als ob das Orchester hier noch einmal tief Luft holen wollte – ein letztes Einatmen vor seinem unbewussten Ertrinken und Versinken in höchster Lust…

© 2008 Frank Fojtik

Frank Fojtik | info@frankfojtik.com